Die Indie-Autor-Challenge, die seit März 2015 läuft,ist immer noch aktiv und beliebt. Jetzt hatten einige Autoren die Idee, eine weitere Challenge, mit Hilfe der Leser zu veranstalten.
***Wunderküsse - Eine Lesehäppchen zur Weihnachts-Indie-Author-Challenge***
Kathrin Lichters hat die Wörter von Anie Salvatore erhalten und daraus diese Geschichte gemacht:
Vanillekipferl
Christbaumständer
Weihnachtsengel
Glühwein
Nikolaus
Das erste Jahr ohne sie würde ein bedrücktes Weihnachtsfest werden, soviel stand fest. Helen blickte traurig auf den Weihnachtsengel in ihrer Hand, der Kindheitserinnerungen in ihr weckte, die sie ein wenig trösteten. Vor über zwanzig Jahren hatte sie ihn mit ihrer Großmutter gebastelt. Solche Gegenstände waren ihr im Moment unglaublich wichtig. Vor Jahren hätte sie sie noch überstürzt in die Ecke geräumt, weil sie alt und nicht modern genug für ihre schicke Wohnung waren. Doch mit dem Verlust von ihrer geliebten Großmutter, die sie großgezogen hatte, sah das nun anders aus. Plötzlich waren diese unbedeutenden Kleinigkeiten besonders wichtig. Lag es an ihrem Alter, das ihr manche Dinge auf einmal klarer waren?
Der Ruf ihres Bruders hallte durch die Räume und Helen sah sich zu ihm um. Ein Ungetüm von Weihnachtsbaum wurde gerade in ihr Wohnzimmer geschleppt. Zwischen den grünen Ästen tauchte endlich Ralf auf, dessen Brille nur noch an einem Ohr baumelte. Er grinste sie schief an. „Du glaubst nicht, wen ich getroffen habe, Helen.“
„Wen?“, horchte sie nur wenig interessiert nach.
„Mich!“, ertönte es vom anderen Ende des Baumes und erst jetzt fragte Helen sich, wer diesen Wahnsinnsbaum mit Ralf getragen hatte. Ein paar Tannennadeln stachen in den blonden, mit Gel modellierten Haaren hervor, die Wangen waren von den Minusgraden ganz gerötet, aber diese Augen … Diese Augen hätte Hellen überall erkannt.
„Lars?“, wisperte sie und fürchtete, bereits an den Krümeln des Vanillekipferls, den sie vor Kurzem gegessen hatte, zu ersticken. Ihr Herzklopfen nahm Fahrt auf, wie ihr alter rostiger Polo. Er lächelte, so anziehend wie vor einem Jahr zuvor. Verdammt, wie sah sie nur aus? Das war so typisch! Ihr Bruder schleppte den einzigen Kerl in ihrer Wohnung an, den sie unter keinen Umständen wiedersehen durfte. Eine Wohnung, die sie sich im Moment mit ihm teilte, weil seine Frau ihn für eine andere verlassen hatte. Da stand sie also mit ihren dreißig Jahren, dem mehlverschmierten Pullover, der sie nicht unbedingt schlanker machte, einem gebrochenen Herzen und betrachtete nun Lars, den verlobten Mann, an den sie ihr Herz verloren hatte. Sie blickte in seine dunkelblauen Augen, während Ralf dieses Ungetüm in den Christbaumständer wuchtete und beinahe dabei umfiel. Keiner der beiden schien es zu bemerken, denn Lars trat nur einen Schritt näher auf sie zu, wodurch Helen nach Luft schnappte.
„Helen … schön, dich zu sehen“, murmelte er leise.
„Ja, das muss ja ewig her sein ...“ Auf den Tag ein Jahr, erinnerte sie sich bedrückt. Helen hielt inne und dachte an den Kuss, der sie vor einem Jahr alle Zelte in dem Ort, wo sie aufgewachsen war, hatte abbrechen lassen. Ein untrügliches Gefühl beschlich sie, dass er auch an diesen Moment zurückdachte. Damals war Lars in einer langjährigen Beziehung gewesen und hatte wochenlang dabei geholfen, ihrer Großmutter den Garten zu verschönern, weil sie es nicht mehr allein schaffte. Sie hatte sich Hals über Kopf in den Mann verliebt, der schon immer mit ihrem Bruder befreundet gewesen war und mit dem sie mehr Zeit verbracht hatte, als es sich gehörte – zumindest, wenn er verlobt war. Mit gebrochenem Herzen hatte sie sich zurückgehalten, weil sie eben nicht zu den Frauen gehörte, die anderen ihre Männer ausspannte. Doch dann hatte ihre Großmutter das übliche Nikolausfest gefeiert, mit Glühwein, selbst gebackenen Plätzchen und ihren selbstgestrickten Socken. An diesem Abend hatte es einen Moment gegeben, in dem sie sich sicher war, sich die unzähligen Blicke und Vertrautheiten von ihm nicht eingebildet zu haben. Im Schuppen, auf der Suche nach einem Handfeger, war es zu einem einzigen und wahrhaft unvergleichlichen Kuss gekommen, der Helen am nächsten Tag veranlasst hatte, ihre Sachen zu packen und Lars nie wiederzusehen. Das hatte nicht gut geklappt, wie sie jetzt einsehen musste. Denn auch ein Dorf weiter schleppte ihr Bruder ihn nun an. Doch wie hätte sie Ralf einen Vorwurf machen können, wo er doch nichts von diesem schwachen Moment wusste.
„Das mit deiner Großmutter tut mir leid, ich habe davon gehört, aber ich wusste nicht, ob du mich auf der Beerdigung sehen wolltest.“
„Danke, es ist schon … okay“, wich sie ihm aus. „Ich … bin noch mit den Keksen beschäftigt … ähm, und lass euch mal allein.“ Damit floh sie aus dem Wohnzimmer, obwohl Ralf ihr irritiert nachrief, sie solle ihm doch beim Baumaufstellen helfen.
Lars folgte ihr jedoch in die Küche und sagte eifrig: „Ich weiß, dass es womöglich viel zu spät ist, um über diesen Kuss zu reden, aber …“
„Das könnte man so sagen“, stieß sie überrascht aus und sah bestürzt, wie er die Entfernung zu ihr immer weiter verkleinerte und ihr näherkam.
„Du bist damals einfach weg gewesen …“
„Wehe dir, du schiebst mir die Schuld zu. Du bist mit einer anderen verlobt, erinnerst du dich? Ich habe mich so schlecht gefühlt, weil ich … wir …“
„Deine Großmutter hat mich dazu angehalten, dich nur aufzusuchen, wenn ich meine Angelegenheiten geregelt habe und …“
„Sie hat was?“, entfuhr es Helen überrascht. Hatte sie es gewusst? Nun ließ Lars die Schultern hängen.
„Sie wollte nicht, dass du die andere Frau wirst und sie hatte recht. Denn dann hätte ich alles ruiniert. Nachdem ich mich von Kathleen getrennt hatte, wollte ich einen Neuanfang und regelte alles. Danach habe ich von dir und Erik erfahren und als deine Großmutter starb, wusste ich nicht …“
„Timing war nie unsere Stärke, oder?“, fragte Helen leise und ihre Mundwinkel hoben sich, obwohl sie Tränen in den Augen hatte.
Lars lächelte ebenfalls. „Du hast dich von Kathleen getrennt?“, wisperte sie mit erstickter Stimme.
Ein Nicken folgte und Lars überbrückte die letzte Distanz zu ihr. „Ich kam heute her, weil es genau heute ein Jahr her ist, dass du mein Leben auf den Kopf gestellt hast. Ich konnte nur noch an diesen Kuss denken und die Gefühle, die er in mir ausgelöst hat.“ Seine Hände streichelten über ihre Wangen, die sicher voller Mehl waren.
„Dann bist du gar nicht wegen Ralf hier.“
„Ich bin wegen dir hier. Genau genommen bin ich hier, um das zu tun.“ Eine Hand strich durch ihr lockiges Haar und umfing ihren Nacken, während die andere an ihrer Taille blieb, wo er sie zu sich heranzog, bis ihre Körper sich berührten und sein Mund ihre Lippen verschloss. Zuerst zärtlich, später inniger küssten sie sich und es war noch viel besser als in dem Jahr zuvor.
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