Im März 2015 hatten einige Autoren die Idee sich einer besonderen Herausforderung zu stellen. Ihnen sollten 15 Begriffe genannt werden und sie wollten eine Geschichte daraus machen, die mindestens drei Seiten lang sein sollte. Nach und nach möchte ich die Autoren und deren Geschichten vorstellen:
Birgit Loistl, ein Kind der späten Siebziger Jahre,
lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern an
einem See in der Nähe von München.
Ihr Debutroman "Forever Lizzy" ist im Februar 2015
erschienen und der erste Band der "Silky Oaks Lovestories".
Sie mag die Farbe lila, Gewitter und Nougatschokolade.
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Ich, Birgit Loistl bin von der sehr lieben D.L. Andrews nominiert worden. Ziel war es mit 15 vorgegebenen Wörtern eine Kurzgeschichte mit maximal 3 Seiten zu schreiben.
Mit folgenden Wörtern musste ich arbeiten:
1. Baby
2. Verlust
3. Selbstzweifel
4. Alkohol
5. Drogen
6. Chirurg
7. Liebesbrief
8. Mülleimer
9. Unfall
10. Eltern
11. Roboter
12. Schneesturm
13. Vertrauensbruch
14. Verrat
15. Einsamkeit
Hier meine Geschichte:
„Eine wunderschöne Nacht wünsche ich Euch, wo immer ihr auch seid. Hier spricht Annabelle von Radio Neo München und ihr hört Dreamnight, die beste Nachtshow der Stadt. Nun spiele ich euch die bezaubernde Sandy McDonald mit ihrem neusten Hit Sweet Kisses und anschließend erwarte ich meinen nächsten Anrufer. Ruft mich an!“
Ich drücke den roten Knopf an meinem Mikrofon und nehme den Kopfhörer ab. Marc, mein Aufnahmeleiter, steht einige Meter von mir entfernt hinter einer Glaswand und wedelt mit einem Blatt Papier in seiner Hand. Genervt schüttle ich den Kopf und stöhne laut auf. Nicht schon wieder! Marc scheint meinen Gesichtsausdruck richtig zu deuten. Er öffnet die Studiotür und steckt seinen Kopf herein. „Es wurde schon wieder ein Liebesbrief für dich beim Pförtner abgegeben. Hast du Paul nicht gesagt, dass er einen Gang herunterschalten soll?“
„Doch“, seufze ich und strecke die Hand aus, als Marc näher kommt und mir den Brief reicht. Ich weiß, was darin steht. Dass er sich in mich verliebt hat und mir die Sterne vom Himmel holen möchte. Dass er noch nie für eine Frau so empfunden hat. Dass er es kaum erwarten kann, mich wiederzusehen. Ohne groß darüber nachzudenken, reiße ich den Brief ungelesen in kleine Stücke und werfe ihn in den Mülleimer.
„Was ist?“, fahre ich Marc an, der mit hochgezogenen Augenbrauen die Arme vor seiner Brust verschränkt und mich still mustert. „Warum sagst du ihm nicht einfach, dass er sich verpissen soll.“ Ich lege den Kopf in den Nacken und fahre mir über das Gesicht. Noch zwei Songs, dann bin ich wieder auf Sendung.
„Das kann ich nicht. Es ist ja nicht so, dass ich nichts für ihn empfinde. Es ist nur alles zu viel, verstehst du? Er ist aufmerksam und liebevoll. Er hört mir zu und braucht mich, das spüre ich.“ Ich greife zu meiner Flasche Cola light und nehme einen Schluck davon. „Und meine Eltern lieben ihn. Das ist der Wahnsinn schlechthin. Bisher dachten sie von jedem Kerl, den ich mitgebracht habe, er sei gerade frisch aus dem Gefängnis gekommen. Aber er ist Postbote, Marc. Einfach nur Postbote.“
„Na und? Willst du mir sagen, dass du wirklich so oberflächlich bist, Belle? So kenne ich dich gar nicht.“
„Ich bin nicht oberflächlich. Aber ich denke auch an meine Zukunft. Ich bin achtundzwanzig. Ich habe Wünsche, verstehst du? Ein kleines Häuschen, Kinder. Ich verdiene hier nicht die Welt, Marc und ein Postbote…naja, er verdient nicht viel mehr als ich.“
„Wie lange seid ihr jetzt schon zusammen?“
„Acht Monate.“
„Acht Monate? Weißt du wie viele Typen ich kenne, die nach acht Monaten immer noch solche Liebesbriefe an ihre Freundin schreiben? Keinen einzigen. Die meisten machen sich die Arbeit so lange, bis sie sie flachgelegt haben und dann ist es vorbei mit dem Süßholz raspeln. Also entweder hattet ihr bis heute noch keinen Sex – und falls ja, kannst du den Kerl in die Tonne treten. Oder aber, und das halte ich für wahrscheinlicher, der Typ liebt dich. Und dann ist es doch egal, ob er Chirurg oder Postbote ist, oder nicht?“
„Du bist ein Kerl, du verstehst das nicht. Tu mir einfach einen Gefallen. Er hat gemeint, er holt mich später ab, also wenn er auftaucht, dann…“ Marc schüttelt den Kopf und wendet sich von mir ab. „Ich weiß… ich soll ihm sagen, du hast früher Schluss gemacht und bist schon nach Hause gegangen. Echt, Annabelle, diese Tour ist so was von mies.“
Ich schlucke und schließe die Augen, als Marc die Studiotür schließt. Ich weiß, dass ich mich gemein verhalte. Aber ich kann nicht anders. Ich nippe an meiner Flasche Cola und lasse mich nach hinten in den Stuhl fallen. Mein Blick fällt auf die leuchtend roten Zahlen, die über der Studiotür hängen. Es ist Sonntag, drei Stunden nach Mitternacht. Draußen tobt ein Schneesturm und mir graut bei dem Gedanken, nach Hause zu gehen.
Plötzlich blinkt die Telefonanlage rot auf. Ein neuer Anrufer ist in der Leitung. Ich setze meine Kopfhörer auf und drücke auf das rote Lämpchen.
„Hier spricht Annabelle und ich freue mich auf meinen neuen Anrufer. Hallo, ist jemand dran?“
Eine Totenstille liegt in der Luft, ich höre ein schweres Atmen. Sonst nichts. Ich liebe meinen Job. Wirklich. Aber manchmal ist es echt ein bisschen gruselig.
„Hallo?“
„Hallo.“ Es ist die Stimme einer Frau.
„Eine wunderschöne Nacht wünsche ich dir. Verratest du mir deinen Namen?“
„Marie“, wispert sie und ihre Stimme zittert.
„Möchtest du mir etwas erzählen, Marie?“
Sie ist eine Weile still. Ich höre nur ihren schnellen Atem. „Ist das…“ stockt sie, bevor er weiterspricht“... ist das wirklich live?
Ich lächle, denn diese Frage wird jedes Mal gestellt. „Ja. Die Sendung wird live gesendet. Glaubst du ich würde mich um diese Uhrzeit ins Studio setzen, wenn ich stattdessen in meinem warmen, weichen Bett liegen könnte?“
„Nein“, antwortet sie schnell. „Natürlich nicht.“
„Möchtest du mir etwas anvertrauen?“ So funktioniert unsere Show. Die Menschen rufen mich an und erzählen mir ihre Probleme, ihre Ängste, ihre Albträume. Sie versuchen auf diesen Wege mit jemanden zu reden, weil sie sonst niemanden haben, der ihnen zuhört und sie versteht. Und die Einschaltquoten sprechen für sich. Dreamnight ist die erfolgreichste Nachtshow Deutschlands. Sie wird bundesweit gesendet, die Menschen rufen mich von überall an.
„Ja.“ Es entsteht eine Stille, dann spricht sie weiter. „Mein Freund…er hatte einen Unfall.“
„Das tut mir leid, Marie. Wurde er verletzt?“
„Ja“, flüstert sie. Es fällt ihr sichtlich schwer zu reden. „Er…er ist gestorben.“ Sie atmet tief ein und ich bin im ersten Moment erschüttert. Ich hasse diese Situationen, weil es zu meinem Job gehört, die richtigen Worte zu sagen. Aber leider weiß ich nicht immer, was die richtigen Worte sind.
„Heute ist sein Todestag. Vor fünf Jahren starb er bei einem Autounfall.“ Mein Gott, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich verspüre Mitleid mit ihr, denn in ihrer Stimme klingt so viel Zuneigung und Liebe …und Einsamkeit.
„Wir hatten an diesem Abend einen Streit. Wissen sie, wir kannten uns seit der Grundschule. Er war mein bester Freund. Und in all den Jahren haben wir oft gestritten, aber wir haben uns immer versöhnt, bevor wir auseinander gegangen sind. Ich weiß, es klingt wie ein Klischee, aber ich hatte immer Angst, dass einem von uns etwas passieren könnte. Aber an diesem Abend war ich so wütend.“
„Weswegen waren sie wütend?“
„Er hat seinen Job verloren, weil die Polizei bei ihm im Wagen eine Flasche Jack und 20 Gramm Marihuana gefunden hat. Chris war Taxifahrer. Verstehen sie? Er hat seine Existenz aufs Spiel gesetzt und weil er sich abends mit ein paar Kumpels die Kante geben wollte.
„
Mir ist klar, dass sie allen Grund hatte, wütend zu sein. Alkohol und Drogen bei einem Taxifahrer ist unverantwortlich.
„War er denn betrunken?“
„Nein, ich glaube nicht“, ihre Stimme klingt wie ein Roboter. „Für mich war es einfach ein Vertrauensbruch. Er wusste, dass ich nichts für Drogen übrig habe. Deshalb hat er heimlich geraucht. Das war für mich wie ein Verrat. „
„Ich kann sie verstehen, Marie. Ich denke, viele in ihrer Situation hätten so reagiert.“
Ich war so unglaublich wütend auf ihn und dann habe ich Dinge gesagt, die unverzeihlich waren.“ Sie lacht, aber es ist kein glückliches Lachen. "Ich habe ihn mit dem Mann meiner Schwester verglichen. Er ist Zahnarzt, wissen sie. Sie haben ein kleines Häuschen, zwei Kinder und einen Hund. Die perfekte Familie – naja, rein äußerlich, wenn man davon absieht, dass er meine Schwester regelmäßig betrügt. Paul ist sauer geworden und hat mich angeschrien, wenn ich so wenig von ihm halte, dann könne er ja gehen!“ Sie schluchzt und mir wird es schwer ums Herz. „…und dann habe ich ihm gesagt, dass das eine gute Idee wäre. Verstehen sie das? Ich habe dem Mann, den ich über alles geliebt habe, gesagt, er soll verschwinden.“
„Und dann ist es zu dem Unfall gekommen?“ Ein Kloß sitzt in meinem Hals und versuche, das trockene Gefühl in meiner Kehle loszuwerden.
„Ja. Er ist von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Die Ärzte meinten, er wäre sofort tot gewesen.“ Mir bricht es das Herz als ich ihre Worte höre. „Ich vermisse ihn so. Diese kleinen Dinge, wissen sie was ich meine? Er hat im Schlaf immer etwas gesabbert und seine Jacke immer neben die Garderobe gelegt. Wissen sie, wie wahnsinnig mich das früher gemacht hat? Und er hat das R immer besonders gerollt, so dass ich sogar einen Termin bei einer Logopädin für ihn vereinbart habe. Gott, was würde ich dafür tun, wenn ich ihn nochmal hören könnte.“ Tränen laufen mir über das Gesicht, aber ich wische sie nicht weg.
„Ich habe es ihm nie gesagt, verstehen sie? Er hat nicht gewusst, wie sehr ich ihn liebe. Er hat immer gesagt, wie sehr er mich liebt und das er mich heiraten und mindestens ein Baby mit mir haben möchte und ich habe ihn immer ausgelacht. Ich habe es verdammt nochmal nicht über mich gebracht, ihm zu sagen, wie sehr ich ihn liebe.“
„Seien sie nicht so streng mit sich, Marie. Er hat es sicher gewusst.“
„Ist das so?“ Sie flüstert und seufzt tief. „Ich wollte eigentlich keine traurige Geschichte erzählen. Eigentlich habe ich angerufen, weil ich jedem einen Rat mit auf dem Weg geben möchte. Niemand ist perfekt und das ist auch nicht wichtig. Das einzige, was wirklich zählt, ist, dass dich jemand so nimmt wie du bist. Denn jeder Mensch ist es wert geliebt zu werden. Ohne Wenn und Aber. Naja, und jeder Mensch ist es wert zu wissen, dass er geliebt wird. Dadurch vergibt man sich nichts. Im Gegenteil, es macht alles noch viel schöner.“
„Das hast du sehr schön gesagt“, möchte ich sagen, aber soweit komme ich nicht mehr. Es ertönt bereits das Leerzeichen. Marie hat bereits aufgehängt.
„Es ist drei Uhr dreißig und meine Zeit ist zu Ende. Nehmt euch Maries Worte zu Herzen. Das war Dreamnight, die aufregendste Show der Stadt und ich wünsche euch noch eine wundervolle Nacht.“
Ich lassen den Kopfhörer fallen und lege meinen Kopf auf die Tischplatte. Ich bin erschöpft, müde und ausgelaugt. Maries Worte haben mich bewegt und Dinge in mir wachgerüttelt, die Selbstzweifel in mir wachrufen. Gerade als ich den Kopf hebe, sehe ich Marc mit dem Rücken zur Glaswand stehen, wie er mit den Armen herumwedelt. Und dahinter sehe ich eine dunkelbraune Lederjacke. Paul. Marc wird ihm sagen, dass ich bereits gegangen bin. So schnell ich kann, springe ich auf, stolpere über die Kabel am Boden und reiße die Tür auf. Paul öffnet gerade die Eingangstür als er inne hält und sich zu mir umdreht.
„Anna?“ fragt er erstaunt. Du bist noch da?“
„Ja“, antworte ich schnell, greife nach meiner Jacke und werfe Marc einen kurzen Blick zu, der mich fragend beobachtet, ein zaghaftes Lächeln umspielt die Lippen. Er weiß, was in mich gefahren ist. Maries Worte haben mich berührt. Ich nicke Marc kurz zu, greife dann Pauls Hand und drücke ihm einen Kuss auf die Wange.
„Lass uns nach Hause gehen“, sage ich und drücke seine Hand noch ein wenig stärker. Ich werde Maries Rat befolgen. Jeder Mensch ist es wert, so geliebt zu werden, wie er ist. Bisher war ich blind, aber jetzt weiß ich, dass ich jede Sekunde genießen muss. Sie kann so schnell vorüber sein.
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