Montag, 25. Mai 2020

Autoreninterview - Christoph Driessen



Sehr geehrter Herr Dr. Driessen,
Sie gehören zu den wenigen Autoren, die ich interviewe und noch nicht auf einer Buchmesse getroffen habe. Deshalb freue ich mich sehr, dass Sie sich meinen Fragen stellen möchten. Dass wir uns noch nicht kennen, könnte auch daran liegen, dass Sie bisher meist Sachbücher veröffentlicht haben, die zwar sehr interessant scheinen, aber auf die ich noch nicht aufmerksam wurde.

In Ihrer Vita habe ich gelesen, dass Sie Journalistik und Geschichte studiert haben und auch keinen langweiligen beruflichen Werdegang hatten. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Bücher zu schreiben?

Ich bin hauptberuflich im aktuellen Journalismus tätig, das ist ein sehr flüchtiges Geschäft. Irgendwann wollte ich mal etwas machen, was ein wenig bleibender ist. Und das ist dann mit viel Glück auch gelungen, denn meine "Geschichte der Niederlande" wird jetzt schon seit elf Jahren immer wieder neu aufgelegt


Wann haben Sie mit dem Schreiben begonnen?

Journalistische Artikel schreibe ich schon seit meinem 19. Lebensjahr. Das erste Sachbuch habe ich mit 42 veröffentlicht. Aber den ersten Roman erst jetzt im reifen Alter von 53 Jahren.


Wie lange schreiben Sie an einem Buch?

So ungefähr zwei Jahre.


Da Sie ja noch Ihrem Hauptberuf nachgehen, würde es mich interessieren, wann Sie sich die Zeit zum Schreiben nehmen.

Abends oder im Urlaub. Das kommt deshalb auch nicht immer so gut an bei der Familie.


Wenn ich mir die Übersicht Ihrer bereits erschienenen Bücher ansehe, entdecke ich einen Trend. Entweder sind es Bücher über Köln oder sie haben mit den Niederlanden zu tun, ist das richtig?

Ja, genau richtig. Mein eigentliches Spezialgebiet ist die Geschichte der heutigen Beneluxländer. Das mit Köln hat sich eher zufällig ergeben, weil ich jetzt schon so lange hier wohne.


Wie kommen Sie auf die Ideen zu Ihren Büchern?

Ein Teil stammt gar nicht von mir, sondern von den Verlagen. Aber zum Beispiel bei dem Buch, das ich über Rembrandt geschrieben habe, da hatte ich mir gedacht, es wäre sehr interessant, einmal nicht auf ihn zu schauen, sondern auf die drei Frauen, mit denen er zusammengelebt hat.


Mich interessiert ja immer, wer das Buch eines Autors als erstes lesen darf. Meist sind es ja Romane, aber wie sieht es bei einem Sachbuch aus?

Das ist immer meine Frau.


Ich erwähnte oben ja bereits, dass wir uns bisher noch auf keiner Buchmesse getroffen haben, beabsichtigen Sie mal zu einer der beiden Messen zu fahren?

Ich war schon mehrfach auf der Buchmesse in Frankfurt, habe dort zum Beispiel mal aus meinen literarischen Köln-Führer gelesen.


Wie sieht Ihre Präsenz im Bereich der Sozialen Medien aus?

Ich bin da oft unterwegs, aber nicht unbedingt selbst aktiv.


Ich werde gleich noch genau auf Ihr neuestes Buch eingehen, jetzt interessiert mich erst einmal eine Frage. Ich habe gesehen, dass Sie zur Vorstellung des Buches online-Lesungen gemacht haben. Können Sie sich vorstellen, dass Sie irgendwann mal In Buchhandlungen oder an anderen Orten auf Ihrem Buch lesen werden?

Auf jeden Fall, ich habe schon oft Lesungen gemacht, nicht nur in Deutschland, sondern zum Beispiel auch in den Niederlanden und in Belgien.


Möchten Sie engeren Kontakt zu Ihren Lesern und vielleicht auch zu Bloggern aufbauen?

Klar, aber es schreiben mir zum Glück auch jetzt schon viele Leser, oft mit Fragen und Anregungen, hin und wieder auch mit Kritik – vor allem zu meinem Niederlande-Buch.


Gibt es Planungen für weitere historische Romane?

Es könnte natürlich mit der Muskatprinzessin noch weitergehen, das habe ich mir schon beim Schreiben überlegt.


Haben Sie als Kind gerne gelesen und wenn ja, an welches Buch erinnern Sie sich noch gut?

Sehr gern. Ich bin in den 70er Jahren aufgewachsen, da gab es ja noch lange kein Internet und im Fernsehen vielleicht an zwei oder drei Tagen mal eine Kindersendung. Von daher hat da, glaub ich, jeder viel gelesen. Eines meiner Lieblingsbücher war „Lord Schmetterhemd“ von Max Kruse, mit dem ich auch jahrelang korrespondiert habe.


Haben Sie jetzt Zeit und Lust zum Lesen und welches ist ihr bevorzugtes Genre?

Zeit habe ich leider nicht so viel. Am liebsten lese ich historische Sachbücher. Neulich habe ich Christopher Clark interviewt, den Autor von „Die Schlafwandler“. Das ist zum Beispiel ein Idol von mir.


Wenn Sie eine Zeitreise machen könnten, welchen Autor würden Sie besuchen und warum?

Thomas Mann – obwohl ich es mir sehr schwer vorstelle, mit ihm ins Gespräch zu kommen.


Wie immer stelle ich reichlich Fragen und denke, dass ich doch das eine oder andere vergessen habe. Deshalb gebe ich Ihnen hier die Möglichkeit, was wollten Sie uns Lesern gerne noch mitteilen?

Ich freue mich ungemein über jede Leserin und jeden Leser und bedanke mich sehr für das Interesse.


Zum Abschluss meines üblichen Interviews frage ich meine Interviewpartner gerne, was ihnen zu Namen oder Begriffen einfällt. Die Frage möchte ich hier ebenfalls stellen und dann gleich ausführlich auf Ihren historischen Roman eingehen

Amsterdam - Eine von mir sehr geliebte Stadt. Ich wollte eigentlich immer nach Amsterdam ziehen, aber das hat bisher nie geklappt.

Tulpenmanie - Das war eine große Spekulationswelle mit Tulpenzwiebeln in den 1630er Jahren in Holland. Viele Schriftstellerinnen haben sich dadurch inspirieren lassen, der bekannteste Roman ist sicher „Tulpenfieber“, verfilmt mit Christoph Waltz.

Erich Kästner - Ein wunderbarer Autor, dessen Bücher ich als Kind gelesen habe. Und später habe ich sie dann  meinen Kindern vorgelesen.


An dieser Stelle endet üblicherweise mein Interview, aber ich möchte auf ein Buch doch noch genauer eingehen. Zunächst stelle ich hier das Buch kurz vor


Kurzbeschreibung, übernommen:
Amsterdam, frühes 17. Jahrhundert: Eva sieht sich gezwungen, ihre geliebte Heimat Holland zu verlassen, denn die Geschäfte ihres Vaters, des Bierbrauers Claes Corneliszoon Ment, laufen schlecht. Bedrängt von seinen Gläubigern, kommt es ihm gerade recht, dass der wohlhabende Generalgouverneur der Vereinigten Ostindischen Compagnie, Jan Pieterszoon Coen, ein Auge auf seine Tochter geworfen hat. Gegen ihren Willen muss die blutjunge Frau die Ehe mit dem über zwanzig Jahre älteren Pfeffersack eingehen und lernt schon in der ersten gemeinsamen Nacht seine dunkelste Seite kennen.
Kurz nach der Vermählung tritt Coen seinen Generalgouverneursposten in Ostindien an und Eva muss bis auf ihren lebenslustigen Bruder Gerrit und ihren Kater Jasper alles zurücklassen. Acht Monate dauert die Fahrt nach Batavia in drückender Hitze, um sodann wie ein Herrscherpaar in ihrer neuen Heimat empfangen zu werden. Die Welt, in die Eva nun eintaucht, könnte exotischer nicht sein. Sie hat plötzlich den Status einer Prinzessin mit einer riesigen Schar asiatischer Diener und einem Elefanten als Reittier. Eva kann sich dem Zauber und der Schönheit des fremden Landes nicht entziehen. Sie lernt Jacques Specx und seine geheimnisvolle Tochter Sara kennen, den dicken Crijn van Raemburch, Mitglied des Indienrates und vor allem den jungen Aufsteiger Antonio van Diemen, der ihre Aufmerksamkeit erregt. Rasch gewinnt die rothaarige Eva an Einfluss, kümmert sie sich doch um benachteiligte Frauen und Kinder und wird hierfür von den Einheimischen verehrt, während ihr Mann mit äußerster Strenge über das Land und seine eigene Frau herrscht.


Im Verlag Maximum ist Ihr Buch „Die Muskatprinzessin“ erschienen. Bisher waren es ja meist Sachbücher, wie sind Sie auf die Idee gekommen, nun einen Roman zu schreiben?

Das war gar nicht meine Idee, sondern die Idee der sehr erfolgreichen Literaturagentin Lianne Kolf. Ich habe erst gesagt: „Nie und nimmer, das kann ich gar nicht!“ Aber Frau Kolf hat eine große Überzeugungskraft. 


Weshalb wurde es ein Buch über die Muskatprinzessin?

Die Hauptperson Eva Ment hat ja wirklich gelebt. Und die faszinierte mich schon seit langem. Deshalb habe ich sofort an sie gedacht.


Die Recherche für die beiden Hauptfiguren war vermutlich zeitintensiv. Wie formten sich diese Charaktere für die Handlung?

Da muss man unterscheiden: Die männliche Hauptperson Jan Pieterszoon Coen ist ja eine sehr bedeutende historische Persönlichkeit. Über Coen hatte ich schon viel gelesen und auch einiges geschrieben. Der stand mir also schon lebendig vor Augen. Über seine junge Frau Eva Ment ist dagegen nur wenig bekannt. Ihr Charakter hat sich quasi beim Schreiben geformt – sie entwickelte  ein Eigenleben.


Welche Eigenschaft hat Sie an Eva am meisten fasziniert? Und am Generalgouverneur?#

An Eva war es der Umstand, dass diese ganz junge Frau von 18, 19 Jahren sich auf eine so große Reise in das heutige Indonesien begeben hat. Das war ja in einer Zeit, in der die allermeisten Menschen ihren Geburtsort ihr ganzes Leben nie verlassen haben. Und sie beginnt nun ein neues Leben in dieser unglaublich weit entfernten und unvorstellbar fremden und gefährlichen Welt. Das hat mich von Anfang an gepackt. Ich habe mich gefragt: Was hat sie dabei empfunden? Welche Erwartungen hatte sie? Wie groß war ihr Heimweh? All diese Dinge...

Und Coen – das ist natürlich auch eine fesselnde Gestalt. Ohne ihn gäbe es das heutige Indonesien vielleicht gar nicht, und das ist immerhin das viertgrößte Land der Welt, gemessen an der Bevölkerungszahl. Er war ein Globalisierungspionier, ungeheuer erfolgreich. Aber er hatte eben auch Abgründe. Er ging über Leichen. Er war ein gefährlicher Mann, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Im Roman habe ich versucht, diese beiden Seiten herauszuarbeiten.


Jan Pieterszoon Coen wird inzwischen kontrovers diskutiert. Was ist Ihre Einschätzung zu seinem Charakter? Wieso hat er so gehandelt, wie es dokumentiert ist?

Er hat das alles für völlig richtig gehalten, war sich keiner Schuld bewusst. Was ihm heute ja vor allem zur Last gelegt wird, ist die Ermordung und Verschleppung der Bevölkerung einer Inselgruppe, des Banda-Archipels. Da war seine Rechtfertigung, dass die Bandanesen einen Handelsvertrag gebrochen hätten, den die Vereinigte Ostindische Compagnie mit ihnen abgeschlossen hatte. Dass asiatische Völker mit solchen Verträgen gar nicht vertraut waren und ihnen keine große Bedeutung beimaßen, ignorierte er. Man darf eine historische Persönlichkeit natürlich immer nur nach den Maßstäben ihrer eigenen Zeit beurteilen, aber auch danach handelte Coen grausam und skrupellos. Er wurde auch von Zeitgenossen schon scharf kritisiert.  


Die Religionen sind ebenfalls ein großes Thema. Stand jemand für Sara Specx Pate?

Ja, sie war die Tochter eines niederländischen Kaufmanns und seiner japanischen Geliebten. Das habe ich im Roman allerdings geändert, weil ich die Geschichte jetzt nicht auch noch mit Japan überfrachten wollte. Im Buch stammt ihre Mutter von der Insel Bali, und sie ist dementsprechend Hindu.  Religionen sind in der Tat ein sehr wichtiges Thema des Buchs. In vielen historischen Romanen wird die Religion ja weitgehend ausgeblendet, aber für die damaligen Menschen war das das Allerwichtigste überhaupt.
Sara ist im Buch gleichsam der Gegenpol zu Coen. Sie ruht in sich selbst, sie ist sanft und offen für andere. Aber beide haben auch Gemeinsamkeiten: Sie sind charismatisch und willensstark.


Im Roman werden bildhaft die Sitten und Gebräuche der jeweiligen Orte geschildert. Wie versetzt man sich beim Schreiben in eben diese Zeit?

Also, in das Holland des 17. Jahrhunderts muss ich mich gar nicht groß hineinversetzen, darüber habe ich in den letzten 35 Jahren so viel gelesen und recherchiert, da bewege ich mich fast, als wenn ich schon mal da gewesen wäre. Deshalb könnte ich auch nicht einfach einen historischen Roman aus einer ganz anderen Zeit schreiben. Was die exotischen Orte betrifft, da knüpfe ich teilweise an eigene Erfahrungen an. Wer schon mal im tropischen Regenwald war, der weiß eben, dass es da nachts völlig anders zugeht als tagsüber – nachts erwacht der Wald zum Leben. Oder wenn ich beschreibe, wie Eva einem Wal begegnet, da habe ich daran gedacht, wie ich selbst mal einen mehr als 20 Meter großen Finnwal gesehen habe.


Können Sie sich vorstellen, dass es den Leserinnen ähnlich geht, dass auch bei ihnen Erinnerungen geweckt werden?

Absolut! Gerade jetzt, wo wir durch Corona alle mehr oder weniger ans Haus gefesselt sind, ist es doch schön, Erinnerungen wach zu rufen und sich auf die Zeit zu freuen, in der wir hoffentlich wieder in der Lage sein werden, zu verreisen.


Was war für Sie der größte Unterschied zwischen dem Schreiben von Sachbüchern und einem Roman wie der Muskatprinzessin?

Ein Roman geht viel tiefer, da steckt viel mehr von einem selbst drin. Deswegen trifft einen eine Kritik auch ungleich härter als bei einem Sachbuch. Zudem habe ich die Erfahrung gemacht, die auch schon andere Schriftsteller geschildert haben: Die Personen beginnen mit der Zeit zu leben. Man denkt an sie wie an tatsächlich existierende Menschen. Das hätte ich so nicht für möglich gehalten. 



Sehr geehrter Herr Dr. Driessen,
ich möchte mich nun an dieser Stelle dafür bedanken, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten.


Mehr Informationen über den Autor und seine Bücher gibt es hier:

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